Das Portfolio, ein alternatives Beurteilungssystem für die Volksschule?
NZZ März 2005 Ernst Waldemar Weber
Vor einem Jahr hat man im Kanton Bern versucht, eine neue, die Noten ergänzende Schülerbeurteilung ("Schübe") einzuführen. Das Projekt war von der Erziehungsdirektion sicher gut gemeint und wurde als "förder- und lernzielorientiert, umfassend und transparent" angepriesen, aber sehr bald zeigte sich, dass es für die Praxis nicht tauglich war. Die Übung ist inzwischen abgebrochen worden; ausser Ärger und Verunsicherung hat sie wenig gebracht, höchstens den Ruf nach der "guten alten" Zeugnisnote.
Man könnte meinen, Noten seien eine klare Sache. Aber in der näheren Betrachtung zeigen sich Schwachstellen. Zwar spielen Schulzeugnisse für das spätere berufliche Fortkommen praktisch keine Rolle (ich kann mir jedenfalls nur schwer vorstellen, dass ein Erwachsener bei Stellenbewerbungen seine Schulzeugnisse vorweist). Eine als ungerecht empfundene Zeugnisnote kann dagegen sehr wohl einen grossen Einfluss auf ein Menschenleben ausüben. Vor einigen Jahren hat mir ein ehemaliger Schüler – d den ich übrigens in recht guter Erinnerung hatte – voller Bitterkeit gesagt, dass er eine schlechte, von mir gesetzte Mathematiknote nie verwunden habe.
Eine Note hat auch beim objektivsten Lehrer und bei dessen bestem Willen immer eine subjektive Komponente. Auch wenn Noten auf Grund von schriftlichen Arbeiten zustande kommen, sind sie in aller Regel fragwürdig: War die Aufgabe angemessen, nicht zu schwer, nicht zu leicht? Waren vielleicht einige Schüler gerade nicht so gut im Strumpf, so dass ihre Leistung nicht ihrer eigentlichen Kompetenz entsprach? Und wie steht es mit der Noten-Skala? Nehmen wir an, eine ganze Klasse zeigt in einer Arbeit eine ungenügende Leistung. Eigentlich müsste der Lehrer sich sagen: Ich habe den Stoff offenbar nicht gut vermittelt, ich versuche es besser zu machen und annulliere die Probe. Falls er sie aber stehen lässt, ist er versucht, die Skala so zu legen, dass trotzdem ein passabler Durchschnitt entsteht (mit lauter ungenügenden Noten würde er ja sich selber eine schlechte Note setzen). Zeugnisnoten, die auf Grund solcher Manipulationen zustande kommen, sind wertlos; sie dürften nicht ernstgenommen werden. Aber leider sieht man ihnen nicht an, wie sie errechnet worden sind.
Es kommt dazu, dass die Note immer eine Fremdbeurteilung ist. Zwar steht beispielsweise in Artikel 10 der Verordnung der bernischen Erziehungsdirektion über die Schülerbeurteilung, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Sachkompetenz und ihr Arbeits-, Lern- und Sozialverhalten regelmässig selber beurteilen, und dass darüber mit ihnen gesprochen wird. Das ist schön, aber vielleicht sollte man einen Schritt weiter gehen und den Schüler wirklich ernst nehmen, indem man seine Selbsteinschätzung in die Note einrechnet oder wenigstens in irgendeiner Form im Zeugnis ausweist. Wer immer nur fremdbeurteilt und -benotet wird, wird nie lernen, sich selber zu beurteilen.
Die traditionelle Zeugnisnote hat noch weitere Nachteile: Sie: Sie bemisst sich im Grunde meistens nach den Fehlern: Fehlerfrei ergibt eine 6, zwei Fehler eine 5 und so weiter je nach Skala. Jede Note – wenn es nicht eine 6 ist – enthält damit etwas Abwertendes. Sie kann auch nicht differenzieren, sondern nur einen allgemeinen Hinweis geben; eine 4,5 in Mathematik zum Beispiel bedeutet: mässige mathematische Fähigkeiten, und das ist ziemlich nichtssagend, weil es ein statistischer Durchschnittswert ist. Ein gescheiter Kollege hat kürzlich geschrieben, Noten allein seien zu billig, wir wären auch nicht zufrieden, wenn uns der Arzt nach einem gründlichen Checkup einfach die Note 4,8 verpassen würde.
Es wäre aber sicher falsch, aus diesen offensichtlichen Nachteilen der Noten zu folgern, man müsste auf jede Beurteilung verzichten. Denn immer, wenn wir eine Leistung vollbringen, ist es für uns wichtig zu wissen, ob wir damit selber und andere mit uns zufrieden sind. Wenn wir eine Arbeit nur halbherzig gemacht haben, bleibt uns ein schlechtes Gefühl, haben wir sie gut gemacht, erfüllt uns das mit Stolz. Die eigene wie die fremde Beurteilung unserer Leistungen hat für unser Selbstwertgefühl eine grosse Bedeutung, und das gilt ganz besonders auch für junge Menschen. Sie wollen etwas leisten, sie verlangen danach, beurteilt zu werden. Eine faire Beurteilung wäre demnach vor allem eine sinnvolle pädagogische Massnahme, daher muss sie in der Schule eine wichtige Rolle spielen.
Aber Noten können diesem Anspruch nicht gerecht werden; denn in ihnen steckt noch etwas Hinterhältiges: Sie dienen vor allem der Selektion, dem Aussortieren nach Guten und Schlechten, nach Stempeln wie "promoviert", aber auch "Promotion gefährdet", "nicht promoviert" oder auch unausgesprochene wie "untauglich" und "abgeschrieben". Solche Stempel sind gefährlich; sie bilden das Pflaster auf dem Weg, auf dem "Dummheit lernbar" ist (Jürg Jegge). Sigi Amstutz, der bekannte Lehrer aus dem Turbach, hat sich kürzlich in einer Kolumne zum Projekt "Schübe" gefragt: " Sind unsere Schulstuben noch pädagogische Orte, oder entfernen sie sich immer mehr davon?" Denn auch dort ging es – einerseits sogar ausdrücklich, anderseits verbrämt durch schöne Worte – um die Selektion. Diese prägt unser Schulsystem meiner Meinung nach über Gebühr, und gewiss nicht zu dessen Vorteil. Die Schulen Finnlands, die in der PISA-Studie an erster Stelle liegen, kennen während der Volksschulzeit keine Selektion.
Ich möchte nun ein Gegenmodell vorstellen, das Portfolio. So wie mein im Jahre 1850 geborener Grossvater sein Handwerksbuch als eine Art Pass mit den Eintragungen über seine Arbeitsorte als Ausweis seiner beruflichen Erfahrung immer bei sich hatte, würde das Portfolio positive Auskunft über seinen Träger geben, und dieser würde es sicher gerne vorweisen. Denn im Unterschied zum herkömmlichen Zeugnis, das sich an den Defiziten orientiert, würde darin belegt, was der Schüler, die Schülerin alles kann: Sie beherrscht das Bruchrechnen, den Dreisatz, die linearen Gleichungen, die Rechtschreibung, er kennt die Geschichte der Entdeckungen, sie hat das Gewässernetz der Schweiz im Kopf, auf dem und dem level spricht und schreibt er oder sie englisch, sie oder er kann sich in der Muttersprache auf dem Niveau x kompetent ausdrücken. Im Unterschied zum Beurteilungsbericht nach "Schübe" wird hier nicht nur nebulös gesagt "Lernziel erfüllt", sondern das erreichte Lernziel wird klar benannt, als transparente Information. Lehrmeister müssten also nicht mehr eigene Tests durchführen, weil die Zeugnisse zu wenig darüber Auskunft geben, was die Schulabgängerinnen und -abgänger wirklich können.
Das Portfolio brächte eine ganze Reihe von Vorteilen: Die Beurteilung würde objektiviert, sie wäre viel aussagekräftiger, die Ergebnisse liessen sich in der ganzen Schweiz vergleichen, und die erfüllten Tests – lauter positive Meldungen – würden in dieses persönliche Dokument eingetragen. Während ein Zeugnis häufig das schulische Scheitern abbildet, dokumentiert das Portfolio das erworbene Können.
Diese Kenntnisse und Fähigkeiten könnten sich durch standardisierte Tests gemessen werden. Natürlich müssten diese noch geschaffen werden. Aber bei den Sprachen gibt es bereits international gültige, klar definierte Stufen und die zugehörigen Tests, und für die andern Fächer wäre das ohne grosse Probleme ebenfalls möglich. Das Projekt HarmoS der EDK wird dafür allerdings keine grosse Hilfe sein, weil sich die Kantone zunächst in einem aufwendigen Verfahren auf verbindliche Standards einigen müssen, was Jahre beanspruchen wird, und erst dann könnten (eventuell) Tests entwickelt werden.
Die Selektion in unserem Schulwesen bedeutet Wettbewerb, Kompetition; nur die Besten kommen weiter. Das sei ein Abbild unserer Gesellschaft, heisst es, und die Jugend müsse sich an die Härte des Lebens gewöhnen. Aber Zusammenarbeit und Kommunikation kommen zu kurz, und genau das wird doch in den Stelleninseraten immer wieder gefordert. Ich schätze, dass etwa ein Viertel der Schülerinnen und Schüler das Tempo und den Stress aushält und die Schule problemlos durchläuft. Doch wer es nicht schafft, läuft Gefahr, abgehängt zu werden und den Anschluss zu verpassen. Es müsste nicht sein, dass 20% unserer Kinder nach der obligatorischen Schulzeit nicht imstande sind, einen einfachen Text zu lesen und zu verstehen, wie sich aus der ersten PISA-Studie ergeben hat. Es geht ja nicht nur um die Lesefähigkeit an sich, sondern diese ist einer der nötigen Schlüssel, um in der Gesellschaft bestehen zu können.
Ein Fünftel eines Jahrganges als Analphabeten, schon aus ökonomischer Sicht eine Katastrophe! Das heisst doch, dass 20% des Aufwandes unserer Schulen für die Katze waren, schon das sind viele Millionen von Franken! Und es bedeutet auch, dass es uns nicht gelungen ist, das Potenzial, das in diesen jungen Leuten vorhanden gewesen wäre, zu entfalten. Drittens sind Analphabeten für qualifizierte Aufgaben nicht zu gebrauchen (auch das fällt volkswirtschaftlich ins Gewicht), und viertens muss damit gerechnet werden, dass sie zu Sozialfällen werden, was noch einmal nicht geringe Kosten verursacht.
Eine grundsätzliche Neuorientierung unserer Schulen müsste dieses Problem angehen, und die Umstellung vom Zeugnis auf das Portfolio könnte dazu beitragen. Für die etwa monatlich einmal in den Schulhäusern durchzuführenden Tests würden sich die Schülerinnen und Schüler individuell anmelden; die unabhängigen Experten kämen von auswärts. Damit würden die Kinder ihr Lernen vermehrt selber verantworten, und sie könnten den Zeitpunkt der Prüfung selber wählen. Die Lehrkräfte anderseits würden von der ständigen Prüferei entlastet, sie könnten sich darauf konzentrieren, zu unterrichten, Stoffe zu vermitteln, Fähigkeiten einzuüben und die Kinder beim Lernen zu beraten. Am besten würde die Einführung des Portfolios kombiniert mit der Umstellung auf neue Unterrichtsformen mit weniger Frontalunterricht und mehr Projektunterricht mit individuellem Lernen. So könnte "Schule" (was eigentlich "Musse" bedeutet) wieder menschlicher und für die Kinder attraktiv werden.
Auch der Übertritt in weiterführende Schulen würde vereinfacht: Diese Schulen müssten definieren, für welche Tests der Nachweis verlangt wird, und wer die Bedingung erfüllt, kann aufgenommen werden; Übertrittsprüfungen wären nicht mehr nötig. Dabei hätte der Gesetzgeber die wunderbare Möglichkeit, der Ganzheitlichkeit und Ausgewogenheit, die in den Präambeln der Lehrpläne immer so schön beschworen wird, zum Durchbruch zu verhelfen: Er könnte nämlich bestimmen, dass etwa beim Übertritt ins Gymnasium auch die musische Seite angemessen berücksichtigt wird, indem er beispielsweise zwingend vorschriebe, musikalische und zeichnerisch/bildnerische Fähigkeiten müssten nachgewiesen werden.
Fähigkeiten, die schwerer zu testen sind, könnten auf einer besonderen Seite durch den Lehrer in Worten erfasst sein, z.B. "schreibt gute Aufsätze, kann gut formulieren, Gedichte auswendig rezitieren, spricht fast akzentfrei französisch, fliessend englisch, spielt hervorragend Theater, hat ein mathematisches Gespür beim Suchen nach Lösungswegen, liebt die Natur, engagiert sich für Nachhaltigkeit, beobachtet gut, hat den Überblick über geschichtliche Epochen und die kulturgeschichtlichen Bezüge, hat Sinn für globale Zusammenhänge und Entwicklungen, kann sich in andere einfühlen und bei Streitigkeiten vermitteln, hat die Fähigkeit, zeichnerisch und bildnerisch zu gestalten, zu singen, auf einem Instrument zu spielen, Melodien zu erfinden. Auch schwache Schüler haben irgendwo ihre Stärken; es wäre ihnen zu gönnen, dies auch einmal schwarz auf weiss bestätigt zu sehen.
Auch ausserschulische Kenntnisse und Fähigkeiten, das ganze Spektrum menschlicher Kompetenzen könnte dokumentiert werden. Kulturtechniken wie Maschinenschreiben, Umgang mit dem Computer, mit dem Internet, mit elektronischer Post sind immer mehr für jedermann wichtig. Es gibt Schüler, die sich hochspezialisiertes Wissen angeeignet haben, sagen wir über einheimische Tierarten, über Astronomie, über Edelsteine, über Jazzgrössen. Andere haben besondere Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickelt beim Jonglieren, in der Informatik, beim Zaubern, als Tänzer oder Akrobat, auf dem Skateboard. Derartiges Ausnahmekönnen dürfte ebenso erwähnt werden wie erworbene Titel als Sportler oder erreichte Stufen im Instrumentalspiel. Dafür müssten besondere Seiten vorgesehen werden.
In der Schülerbeurteilung Schübe mussten unter dem Titel Arbeits-, Lern- und Sozialverhalten (ALSV) eine ganze Reihe von Qualitäten berücksichtigt werden, ich denke an alte Tugenden wie sorgfältige und zielgerichtete Arbeitsweise, Sauberkeit, Leistungsbereitschaft, Disziplin, Zuverlässigkeit, Ordnungsliebe, Rücksichtnahme, Fähigkeit zur Zusammenarbeit, Fähigkeit des Zurückstehens und Verzichtens oder der Wille zu lebenslangem Lernen. Zwar können solche Qualitäten nicht gemessen und auch nicht in das Portfolio eingetragen werden. Aber der Träger könnte aus der genannten Aufzählung ein paar Grundsätze auf einem Einlageblatt – das er nicht jedem zeigen würde – schriftlich notieren und versuchen, ihnen nachzuleben. Ich kann mir vorstellen, dass eine solche Selbst-Deklaration dreimal eingetragen würde: am Ende der obligatorischen Schulzeit, beim Abschluss der Lehrzeit oder der Mittelschule und vielleicht im Alter von 28 Jahren. Zu seinen guten Eigenschaften darf und soll man stehen, etwa bei einer Stellenbewerbung, bei der sicher auch das Portfolio vorgelegt würde. Beim herkömmlichen Zeugnis besteht eine solche Möglichkeit nicht.
Das Portfolio könnte durch die Schule geführt und beim Abschluss der Schulzeit feierlich übergeben werden, gewissermassen als "Schulsack", nachher bliebe es im Besitz des Schülers. Die erwähnte Selbst-Deklaration würde so zu einer Art Konfirmation, und Schulabschlussfeiern erhielten dadurch einen ernsthaften Sinn, die Schule würde wieder besser wahrgenommen.
Votum an der Hauptversammlung der Ehemaligen Schüler des Staatsseminars Hofwil-Bern
Zum Jahresbricht möcht i no öppis ergänze, u zwar geits um üse Bytrag zum neue Lehrerbildigs-gsetz. Das Gsetz isch im Mai 95 verabschiedet worde; es het d Vereinigung jahrelang beschäftiget, ganz im Sinn vo däm schöne Gotthelf-Wort, wo überem hürige Jahresbricht steit.
Änds 1988 isch dGsamtkonzeption Lehrerbildung GKL id Vernähmlassig cho, dVereinigung het sech intensiv drmit usenandergsetzt u am 17. Mai 1989 uf zwone A4-Syte en usführliche Antwort ygreicht. Dert scho hei mir druf higwyse, dass dür ne sogenannti breiti Allgemeinbildig, wi sen es Gymnasium vermittlet, musischi Fähigkeite, wi sen e Kindergärtnere un e Primarlehrer unbedingt bruche, nid gwährleischtet sy, u dass drum für dUfnahm i dLehrerbildig entsprächendi Bedingige nötig wäre.
Am 5. Dezämber 1991 hei mer inereYgab üsi Vorschleg zum Lehrerbildungsgsetz ygschickt. O dert hei mer i di glychi Kerbe ghoue, u mir hei zum Byspil vorgschlage, dass Gymnasiaste, wo ne Lehrbruef asträbe, sötte chönne Zeichne u Musik als Maturafach belege. Leider sy üsi Vorschläg nid berücksichtiget u vilicht nid emal zur Kenntnis gno worde: im Vernähmlassigsbricht sy si nid erwähnt.
Drum hei mer du i dr Vernähmlassig zum Gsetzesentwurf am 10. Novämber 1993, dasmal im Rahme vo der Dachorganisation KODE no einisch gründlech, uf vier Syte, Stellig gno, u mir hei sogar e Formulierig vorgschlage für e Artikel über dZuelassig zur Lehrerusbildig. Wider isch nüt gsy: im Jänner 95 het dr Grossrat ds Lehrerbildigsgsetz ohni e settigi Yschränkig i dr erschte Läsig agnoh. Jitz hätt also ä Maturandin oder ä Maturand chönne Chindergärtnere oder Primarlehrer wärde, o we si oder är e kei Ton hätte chönne singe oder ke aständige Strich zeichne.
Aber i dr zwöite Läsig am 9. Mai 1995 isch du uf Atrag vo der Frou Stoffer-Fankhauser mit 72 zu 67 Stimme gäge Wille vom Erziehigsdiräkter genau die Formulierig agnoh worde, wo mir hei vorgschlage gha. Si lutet:
Die Zulassung zur Lehrerinnen- und Lehrerausbildung setzt eine breite Allgemeinbildung voraus. Die Ausbildung von Lehrkräften für die unter Artikel 1 Absatz 2 Buchstaben a und b genannten Stufen (Unterstufe und Mittelstufe Primarschule) setzt ausserdem Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten in Musik sowie in zeichnerisch/bildnerischem Gestalten und Werken voraus.
Dä Artikel isch vo grundsätzlicher Bedütig. Är het Uswürkige nid nume uf dGymnasie und uf di ehemalige Seminar, sondern ou gsamtschwyzerisch, wes jitz drum geit, innert zäh Jahr der Beschluss vo der EDK umzsetze, d Lehrerusbildig i der ganze Schwyz uf ds tertiäre Modäll umzstelle.
Üsi Vereinigung het drmit e große Erfolg errunge. Si het zeigt, dass me se nach wi vor sött ärnscht näh.
PISA und was nun? Ernst Waldemar Weber
Es ist jetzt knapp zwei Jahre her, dass wir zur Kenntnis nehmen mussten, dass unsere 15-jährigen Schülerinnen und Schüler im Vergleich mit andern Ländern besonders im Lesen äusserst mässig abgeschnitten haben. Der Lesekompetenz kommt in der Bildung ohne Zweifel eine Schlüsselrolle zu, und sie ist ganz offensichtlich ein wunder Punkt in unseren Schulen. Lesen können heisst, einen Text zu verstehen, seinen Informationsgehalt zu erfassen, den Inhalt aber auch zu reflektieren und kritisch zu beurteilen.
Die Studie
In der PISA-Studie werden 5 Kompetenzstufen unterschieden: Im höchsten Niveau (5) verstehen die Jugendlichen anspruchsvolle Texte bis ins letzte Detail. Sie sind fähig, die relevanten Informationen zu erkennen und kritisch zu testen, auch wenn es sich um fachspezifische Texte handelt. Im Niveau 4 sind die Jugendlichen fähig, schwierige Aufgaben zu lösen, z.B. eingeschobene Informationen zu lokalisieren, sprachliche Nuancen zu erkennen und Texte kritisch zu beurteilen. Im Niveau 3 müssen Texte mittlerer Komplexität verstanden, Informationen aus verschiedenen Textteilen miteinander in Verbindung gebracht und mit dem vertrauten Alltagswissen in Beziehung gesetzt werden. Im Niveau 2 kann ein Text für grundlegende Aufgaben genutzt werden, etwa auf Grund der Information einfache Schlüsse zu ziehen oder die Bedeutung begrenzter Textteile mit Hilfe des eigenen Wissens zu verstehen. Im Niveau 1 verfügen Jugendliche bestenfalls über rudimentäre Lesekompetenzen. Sie können zwar in einfachen Texten einzelne Informationen ermitteln und diese mit dem bestehenden Wissen verbinden. Es gelingt ihnen aber nur ungenügend, das Lesen für das Lernen zu nutzen.
Zum Niveau 5 gehören im internationalen Vergleich 9,4% der Jugendlichen. In Finnland und in Neuseeland sind es 18%, und auch in Australien, Kanada und Grossbritannien gehören mehr als 15% zum Niveau 5. Die Schweiz dagegen liegt mit lediglich 9,2 % sogar unter dem Durchschnitt, in Deutschland sind es gar nur 8,8%. Noch schlimmer sieht es am untern Ende der Skala aus: Rund 13% der Schweizer Jugendlichen gehören dem Niveau 1 an, rund 7% erreichen nicht einmal dieses. Mehr als 20% der schweizerischen und rund 21% der deutschen Jugendlichen sind also am Ende der obligatorischen Schulzeit nicht in der Lage, einen einfachen Text vollständig zu verstehen. In Finnland dagegen gehören nur rund 6,6% zu diesem Niveau. Dieser erschreckend hohe, überdurchschnittliche Anteil von Leseunfähigen und die Ränge 17 für die Schweiz und 21 für Deutschland in der Gesamtwertung Lesekompetenz der 32 beteiligten Länder (unter ihnen Brasilien und Mexiko) müssen zu denken geben.
Mangelnde Lesekompetenz schränkt die Möglichkeiten zum Lernen massiv ein. Es ist deshalb zu vermuten, dass die erwähnten 20% dem Unterricht nicht zu folgen vermochten und aus diesem Grunde in allen Fächern ungenügend sind. Die Tests zu Mathematik und Naturwissenschaft in PISA 2000 sind teilweise sprachlich durchaus anspruchsvoll und verlangen mindestens das Niveau 3. Die Leseunfähigen konnten diese Aufgaben also gar nicht bewältigen, weil sie sie nicht verstehen konnten. Die Ergebnisse in Mathematik und Naturwissenschaft (auf die ich hier aber nicht eingehen will) müssten also hinterfragt werden.
Nun hat die Studie nicht nur die Lesekompetenz gemessen, sondern von jedem einzelnen Probanden auch die häuslichen Ressourcen ermittelt, nämlich die ökonomischen (Geld, Macht, Prestige), die kulturellen (Bildungszertifikate, Bücher, Bilder, Kunstwerke, Musik) und die sozialen Ressourcen (Netzwerke, die den Zugang zur Bildung erleichtern). Dieser Indexwert des ökosoziokulturellen Status des Probanden wurde auf der horizontalen Achse eingetragen, während vertikal die jeweils erreichte Punktzahl erscheint. Jeder einzelne Punkt beschreibt also durch seinen Ort die Werte eines bestimmten Probanden: Vertikal kann seine Leseleistung abgelesen werden, horizontal der ökosoziokulturelle Status.
Es ergibt sich für die Gesamtheit der Probanden ein ungefähr ovaler Schwarm von Punkten, ausgerichtet von links unten nach rechts oben. Der errechnete Durchschnitt aller Punkte ergibt die sogenannte Gradiente, die eine nach rechts ansteigende Linie (meist fast eine Gerade) darstellt. Es zeigt sich, dass die Leseleistungen der Kinder umso besser sind, je bildungsnäher die Eltern sind und je höher ihr Berufsstatus ist..
Die Steigung zeigt das Ausmass der durch die sozioökonomischen Gegebenheiten bedingten Ungleichheiten an. Je steiler die Gradiente (je grösser der Steigungsfaktor), umso grösser ist der Einfluss des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Status auf die Lesekompetenz. Die durchschnittliche Steigung beträgt 41. Österreich liegt genau in diesem Durchschnitt; die Schweiz weist mit 49 den vierthöchsten Wert auf. Nur Tschechien mit 50, Ungarn mit 53 und Deutschland mit 60 liegen höher, Finnland dagegen mit 30 und Japan und Korea mit 21 liegen weit darunter.
Die Höhe ist der Mittelwert der Leseleistung und zwar, um vergleichbar zu sein, korrigiert auf die durchschnittliche Gradientenhöhe. Im Durchschnitt aller Länder liegt die Höhe auf 505 Punkten, für die Schweiz auf 499, für Deutschland auf 476, für Österreich auf 507, für Finnland auf 546 Punkten.
Wenn jeder fünfte 15-Jährige nur ganz ungenügend oder überhaupt nicht lesen kann, ist das zwar zunächst ein ernstes Problem für die Betroffenen. Aber für unsere Volkswirtschaft wird es dramatisch, wenn 20% eines Jahrganges im arbeitsfähigen Alter zu einer anspruchsvollen Arbeit kaum zu gebrauchen ist. Diese Leute leisten nicht nur keinen oder nur einen geringen Beitrag an die Produktivität, sie verursachen zudem häufig Kosten im Fürsorgebereich. Vor allem die Nachteile der ausländischen Herkunft sollten energisch angegangen werden. Kämen alle Talente zur Entfaltung, bedeutete das einen Zuwachs an Ideen und Motivation. So aber greifen viele Frustrierte zu Drogen und zu Gewalt.
Erwartungsgemäss erzielen in PISA 2000 die Immigranten unter den Probanden in der Leseleistung sehr viel schlechtere Resultate als die einheimischen Jugendlichen: Unter denjenigen von ihnen, die erst zwischen einem und vier Jahren bei uns sind, gehören rund 43% zur Risikogruppe, also unter Niveau 1, rund 21% zu Niveau 1, das heisst, dass fast zwei Drittel von ihnen praktisch als Analphabeten ins Berufsleben eintreten. Mit zunehmender Verweildauer nehmen die Leistungen zwar zu, aber nicht in befriedigendem Masse. Allerdings muss vermerkt werden, dass es gerade unter den zuletzt Angekommenen – möglicherweise aufgrund grösserer Integrationsbemühungen – auch hervorragende Leistungen gibt (rund 9% im Niveau 3, rund 5% im Niveau 4 und im Niveau 5 sogar rund 3%). Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass bei den Immigranten ein grosses Potenzial verborgen liegt. Zu bedenken ist auch, dass die Testsprache für diese Jugendlichen die erste Fremdsprache ist. Ausserdem müssen sie sich täglich mit einer weiteren Fremdsprache, nämlich unseren Dialekten, auseinandersetzen.
Die Schweizer Wirtschaft ist in den letzten 10 Jahren bloss um 11,3% gewachsen. Das ist der schlechteste Wert unter den europäischen Ländern, und verglichen mit Österreich (46,7%) oder Finnland (38,3%) steht das Land der Hirten und Bremser ziemlich abgeschlagen da. Gemäss einer OECD-Studie ist die verbesserte Bildung einer der Schlüsselfaktoren für wirtschaftliches Wachstum, und damit fällt das Stichwort Finnland. Dieses Land steht nicht nur in der PISA-Studie an der Spitze, es ist nach einer andern OECD-Studie von 2001 auch das konkurrenzfähigste Land der Welt.
Zwei Aufgaben sind dringend zu lösen: Wir müssen die Steigung der Gradiente abflachen und ihre Höhe anheben. Es fragt sich nur, wie das geschehen soll.
Im Juni dieses Jahres hat die EDK den „Aktionsplan PISA 2000-Folgemassnahmen“ vorgestellt. Ich kann befriedigt feststellen, dass alle diese Massnahmen bereits in meinem Buch „Pisa und was nun?“ vorgeschlagen wurden. Aber bei mir finden Sie viele weitere Vorschläge, z.B. Krippen massiv zu fördern (in Finnland gibt es für jedes Kind spätestens mit drei Jahren einen Platz im „Kindergarten“), institutionalisierte Aufgabenhilfe anzubieten, den Eltern bezüglich erzieherischer Verantwortung ins Gewissen zu reden, Eltern von schwierigen Schülern zu Erziehungs-Trainingskursen zu verpflichten, anderseits die Lehrkräfte zu ermahnen, nur durch die Schüler selbständig lösbare Hausaufgaben zu geben, die Urteilsfähigkeit der Schüler zu fördern, indem die Eigenbeurteilung in die Zeugnisnote einfliesst, die Selektionsmechanismen und die reinen Jahrgangsklassen zu überdenken, einen neuen gesellschaftlichen Konsens über Erziehung anzustreben, den Zugang zu kulturellen Werten gezielter zu fördern, durch ein schweizerisches Bildungsgesetz die überholte kantonale Schulhoheit abzuschaffen. Zum Thema Lesen habe ich geschrieben: „Das Erzählen, Aufschreiben, Übersetzen und Lesen von Geschichten fördert die Lesekompetenz, die ihrerseits Grundlage ist für aktive Beteiligung am Unterricht. Die Lust an spannenden, merkwürdigen, fantastischen, romantischen, erfundenen, unglaublichen Geschichten, Märchen und Sagen ist der Ursprung der Literatur.“
Im Massnahmenkatalog der EDK fehlt auch die Forderung nach einem Musikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler, der diesen Namen verdient, eine Forderung, die sich nach den Ergebnissen des Nationalfonds-Projekts „Bessere Bildung mit mehr Musik“ eigentlich aufdrängen würde. In dieser aufwändigen Studie wurde nachgewiesen, dass in den Klassen mit erweitertem Musikunterricht trotz massiver Reduktion der Unterrichtszeit in Mathematik, Muttersprache und erster Fremdsprache die Leistungen in diesen Fächern nicht schlechter wurden, die Effizienz, gemessen an der aufgewendeten Unterrichtszeit also massiv erhöht wurde, und dass in diesen Klassen das soziale Klima und die Motivation zum Lernen deutlich besser wurden.
Ich greife nun drei meiner Vorschläge heraus, betrachte sie etwas genauer und leite daraus ab, was verändert werden müsste, um sie umzusetzen.
Immer, wenn wir eine Leistung vollbringen, ist es für uns wichtig, ob wir damit und ob andere mit uns zufrieden sind. Wenn wir eine Arbeit nur halbbatzig gemacht haben, bleibt uns ein schlechtes Gefühl; wenn es ein Auftrag von andern war, müssen wir mit Reklamationen rechnen. Die eigene wie die fremde Beurteilung unserer Leistungen hat für unser Selbstwertgefühl eine grosse Bedeutung.
In der Schule spielt die Beurteilung eine zentrale Rolle. Aber an Zeugnissen ist vieles problematisch. Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, haben meine Schulzeugnisse – obschon sie recht gut waren – für mein berufliches Fortkommen keine Rolle gespielt, und ich nehme an, dass das bei den meisten Menschen so ist. Eine als ungerecht empfundene Zeugnisnote kann aber sehr wohl einen grossen Einfluss auf das Leben eines Menschen haben. Vor einigen Jahren hat mir ein ehemaliger Schüler – den ich in recht guter Erinnerung hatte – voller Bitterkeit gesagt, dass er eine schlechte, von mir gesetzte Mathematiknote nie verwunden habe.
Eine Note hat auch beim objektivsten Lehrer und bei dessen bestem Willen immer eine subjektive Komponente. Auch wenn Noten auf Grund von schriftlichen Arbeiten zustande kommen, sind sie in aller Regel fragwürdig: Waren es nur zwei oder drei Proben, war die Aufgabe angemessen, nicht zu schwer, nicht zu leicht? Waren vielleicht einige Schüler gerade nicht so gut im Strumpf, so dass ihre Leistung nicht ihrer eigentlichen Kompetenz entsprach? Und wie steht es mit der Noten-Skala? Nehmen wir an, eine ganze Klasse zeigt in einer Probe eine ungenügende Leistung. Eigentlich müsste der Lehrer sich sagen: Ich habe den Stoff offenbar nicht gut vermittelt, ich versuche es besser zu machen und anulliere die Probe. Falls er sie aber stehen lässt, ist er versucht, die Skala so zu legen, dass trotzdem ein passabler Durchschnitt entsteht. Mit lauter ungenügenden Noten würde er sich ja selber eine schlechte Note setzen, und das darf doch nicht sein. Aber was ist eine solche geheuchelte Note wert, wenn sie auf die Zeugnisnote durchschlägt?
Dazu kommt, dass die Note eine Fremdbeurteilung ist. Zwar steht in Artikel 10 der Verordnung der bernischen Erziehungsdirektion über die Schülerbeurteilung, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Sachkompetenz und ihr Arbeits-, Lern- und Sozialverhalten regelmässig selber beurteilen, und dass darüber mit ihnen gesprochen wird. Das ist schön, aber vielleicht sollte man einen Schritt weiter gehen, den Schüler wirklich ernst nehmen und seine Selbsteinschätzung in irgend einer Form im Zeugnis ausweisen. Wer immer nur fremdbeurteilt und -benotet wird, wird nie lernen, sich selber zu beurteilen
Die traditionelle Zeugnisnote hat noch weitere Nachteile: Sie bemisst sich im Grunde meistens nach den Fehlern: Fehlerfrei ergibt eine 6, zwei Fehler eine 5 und so weiter je nach Skala. Eine solche Note – wenn es nicht eine 6 ist – enthält damit etwas Abwertendes. Sie kann auch nicht differenzieren, sondern nur einen allgemeinen Hinweis geben; eine 4,5 in Mathematik zum Beispiel bedeutet: mässige mathematische Fähigkeiten, und das ist ziemlich nichtssagend, weil es ein statistischer Durchschnittswert ist. Ein gescheiter Kollege hat kürzlich geschrieben, Noten allein seien zu billig, wir wären auch nicht zufrieden, wenn uns der Arzt nach einem gründlichen Checkup einfach die Note 4,8 verpassen würde. Im Kanton Bern versucht man nun die Noten zu ergänzen mit Hilfe einer gigantischen „Schülerbeurteilung“ (SCHÜBE) und den schönen Wörtern „förder- und lernzielorientiert, umfassend und transparent“. Ob die Übung viel bringt, wage ich zu bezweifeln, denn am Schluss steht immer die Note, und das Ziel ist klar definiert: Selektion.
Ich möchte Ihnen nun ein Gegenmodell vorstellen, das Portfolio. Darin würde belegt, was der Schüler kann: Beherrscht er das Bruchrechnen, den Dreisatz, die linearen Gleichungen, die Rechtschreibung, kennt er die Geschichte der Entdeckungen, hat er das Gewässernetz der Schweiz im Kopf, auf welchem level spricht und schreibt er englisch? Im Unterschied zum Beurteilungsbericht nach SCHÜBE wird hier nicht nur nebulös gesagt „Lernziel erfüllt“, sondern das Lernziel wird klar benannt. Das ist transparente Information, z.B. zuhanden von Lehrmeistern.
Das Portfolio brächte eine ganze Reihe von Vorteilen: Die Beurteilung würde objektiviert, sie wäre viel aussagekräftiger, die Ergebnisse liessen sich in der ganzen Schweiz vergleichen, und die erfüllten Tests – lauter positive Meldungen – würden in dieses persönliche Dokument eingetragen. Während ein Zeugnis häufig das schulische Scheitern abbildet, dokumentiert das Portfolio das erworbene Können.
Diese Kenntnisse und Fähigkeiten liessen sich durch standardisierte Tests messen. Natürlich müssten sie noch geschaffen werden. Aber bei den Sprachen gibt es bereits international gültige, klar definierte Stufen und die zugehörigen Tests, und für die andern Fächer wäre das ohne grosse Probleme ebenfalls möglich.
Fähigkeiten, die schwerer zu testen sind, könnten auf einer besonderen Seite durch den Lehrer in Worten erfasst sein, z.B. „schreibt gute Aufsätze, kann gut formulieren, Gedichte auswendig rezitieren, spricht fast akzentfrei französisch, fliessend englisch, spielt hervorragend Theater, hat ein mathematisches Gespür beim Suchen nach Lösungswegen, liebt die Natur, engagiert sich für Nachhaltigkeit, beobachtet gut, hat den Überblick über geschichtliche Epochen und die kulturgeschichtlichen Bezüge, hat Sinn für globale Zusammenhänge und Entwicklungen, kann sich in andere einfühlen und bei Streitigkeiten vermitteln, hat die Fähigkeit, zeichnerisch und bildnerisch zu gestalten, zu singen, auf einem Instrument zu spielen, Melodien zu erfinden. Auch schwache Schüler haben irgendwo ihre Stärken; es wäre ihnen zu gönnen, dies auch einmal schwarz auf weiss bestätigt zu sehen.
Auch ausserschulische Kenntnisse und Fähigkeiten, das ganze Spektrum menschlicher Kompetenzen könnte dokumentiert werden. Kulturtechniken wie Maschinenschreiben, Umgang mit dem Computer, mit dem Internet, mit elektronischer Post sind immer mehr für jedermann wichtig. Es gibt Schüler, die sich hochspezialisiertes Wissen angeeignet haben, sagen wir über einheimische Tierarten, über Astronomie, über Edelsteine, über Jazzgrössen. Andere haben besondere Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickelt, beim Jonglieren, in der Informatik, beim Zaubern, als Tänzer oder Akrobat, auf dem Skateboard. Derartiges Ausnahmekönnen dürfte ebenso erwähnt werden wie erworbene Titel als Sportler oder erreichte Stufen im Instrumentalspiel. Dafür müssten besondere Seiten vorgesehen werden.
In der Schülerbeurteilung müssen nun unter dem Titel Arbeits-, Lern- und Sozialverhalten (ALSV) eine ganze Reihe von Qualitäten berücksichtigt werden, ich denke an alte Tugenden wie sorgfältige und zielgerichtete Arbeitsweise, Sauberkeit, Leistungsbereit-schaft, Disziplin, Zuverlässigkeit, Ordnungsliebe, Rücksichtnahme, Fähigkeit zur Zusammenarbeit, Fähigkeit des Zurückstehens und Verzichtens oder der Wille zu lebenslangem Lernen. Zwar können solche Qualitäten nicht gemessen und auch nicht in das Portfolio eingetragen werden. Aber der Träger könnte aus der genannten Aufzählung ein paar Grundsätze auf einem Einlageblatt – das er nicht jedem zeigen würde – schriftlich notieren und ihnen nachzuleben versuchen. Ich kann mir vorstellen, dass eine solche Selbst-Deklaration dreimal eingetragen würde: am Ende der obligatorischen Schulzeit, beim Abschluss der Lehrzeit oder der Mittelschule und vielleicht im Alter von 28 Jahren. Zu seinen guten Eigenschaften darf und soll man stehen, etwa bei einer Stellenbewerbung, bei der sicher auch das Portfolio vorgelegt würde. Beim herkömmlichen Zeugnis besteht eine solche Möglichkeit nicht.
Das Portfolio könnte durch die Schule geführt und beim Abschluss der Schulzeit feierlich übergeben werden, gewissermassen als „Schulsack“, nachher bliebe es im Besitz des Schülers. Die erwähnte Selbst-Deklaration würde so zu einer Art Konfirmation, und Schulabschlussfeiern erhielten dadurch einen ernsthaften Sinn, die Schule würde wieder besser wahrgenommen.
Gäbe es pro Klasse nur einen einzigen Schüler, so könnte der Lehrstoff optimal vermittelt werden, nämlich immer angepasst an die Intelligenz, die persönliche Reife und das aktuelle Können und Kennen des Schülers. Aber die Volksschule muss natürlich aus ganzen Klassen bestehen, und diese werden aus Schülern gleichen Alters gebildet damit sie möglichst gleich gescheit und gleich reif sind.
Das ist aus vielerlei Gründen eine Illusion. Auch wenn alle Schüler einer Klasse am glei-chen Tag geboren worden wären, sie wären mit Bestimmtheit nicht alle gleich intelligent, gleich reif und an den gleichen Dingen interessiert. Dazu kommt, dass in jeder dieser Jahrgangsklassen trotzdem faktisch immer ein Altersunterschied von wenigstens zwei, oftmals bis zu drei Jahren besteht. Da sind die Repetenten, da sind Schüler, die eine Klasse überspringen konnten, da sind zu früh Eingeschulte, da sind aus anderen Gegen-den zugezogene Kinder (die dort natürlich schlechter geschult wurden). Eigentlich ent-spricht diese breite Streuung fast den alten Dorfschulen, nur eben mit dem Unterschied, dass die Kinder in der Jahrgangsklasse alle gleich weit zu sein haben. Und während in den Dorfschulen die älteren Schüler den jüngeren und schwächeren lernen halfen und dabei helfen lernten, herrscht hier Konkurrenzdenken und ist es streng verboten, zu helfen und abzuschreiben. Während in den Dorfschulen die Gescheiteren unter den Jüngeren ganz natürlich von dem profitierten, was mit den Älteren erarbeitet wurde, langweilen sie sich in den Jahrgangklassen und sind versucht, Unfug zu treiben.
In Finnland besuchen alle Schülerinnen und Schüler während 9 Schuljahren ohne Se-lektion die obligatorische Gesamtschule (vorläufig noch 6 Jahre Unterstufe und 3 Jahre Oberstufe). Fast 50% von ihnen treten nachher in Schulen der Sekundarstufe II (Höhere Tagesschulen) über. Diese Schulen sind nicht in Klassen strukturiert, so dass der Abschluss mit der nationalen Reifeprüfung nach kürzerer oder längerer Zeit (höchstens vier Jahre) möglich ist. Etwas mehr als 50% der Schülerinnen und Schüler absolvieren im Bereich Sekundarstufe II eine dreijährige Berufsausbildung, nach der sie in die (tertiäre) höhere Berufsausbildung übertreten können. Diese ermöglicht den Zugang zu einem Universitätsstudium.
Wie anders sieht es bei uns aus: Als wir zum Modell 6/3 wechselten, hofften wir, den Prüfungsstress im 4. Schuljahr zum Verschwinden zu bringen. Jetzt haben wir im 5. und 6. Schuljahr eine Dauerprüfung, und zurück bleibt – als Abfallprodukt der Selektion – die Gruppe der Realschüler, die eines vor allem gelernt haben: dass sie nichts oder zu wenig können. In der Sekundarstufe I geht es nahtlos weiter mit Spezialklassen, drei Niveaugruppen und besonderer Vorbereitung für den Übertritt ins Gymnasium.
Altersheterogene Klassen würden mit Vorteil (zum Teil gleichzeitig) von mehreren Lehrkräften betreut. Sie können aber durchaus grösser sein als normale Klassen, also etwa 30 bis 35 Schülerinnen und Schüler umfassen. Alle Menschen – ganz besonders in der Latenzzeit, und Mädchen anders als Knaben – entwickeln sich in Schüben und jeder in andern, individuellen Intervallen. Deshalb würde in diesen Klassen mit zunehmendem Alter mehr Projektunterricht erteilt, das heisst, die Schülerinnen und Schüler der oberen Klassen wären während des grösseren Teils der Zeit selbständig und individuell entsprechend ihrer Entwicklungsstufe an der Arbeit, und die Lehrkräfte stünden den Einzelnen zur Verfügung für Korrektur und Tests, aber auch für Beratung und Hilfe, etwa beim Herausfinden der besten persönlichen Lernstrategie. Ich stelle mir drei Stufen vor: die Basisstufe (ungefähr 4. bis 8. Lebensjahr), die Primarstufe vom 8. bis 12. und die Sekundarstufe I vom 12. bis 15. Lebensjahr. Die Übergänge wären fliessend und halbjahresweise individuell möglich, so dass leistungsfähigere Schülerinnen und Schüler die Stufen schneller durchlaufen könnten, ohne sich dabei soziale Defizite einzuhandeln. In solchen Klassen wäre das Portfolio-Modell möglich: die Schüler absolvieren die Tests dann, wenn sie sich dazu bereit fühlen. So machen sie den schönen, verfälschten Spruch: "Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir!" endlich wahr.
So könnte auch das Hauptübel unseres Schulsystems – die Selektion – entschärft werden. Von diesem Prinzip sind unsere Schulen von oben nach unten durchdrungen. Der Prüfungsstoff bestimmt die Schularbeit, die Marksteine im Schulalltag sind die „Proben“, die Schultests. Diese richten sich auf weite Sicht nach den Anforderungen für die Aufnahme in höhere Schulen. Dort wird in eingeschränkten Bereichen genaues Wissen und formallogisches Denken abgefragt, also Sprachen (vor allem Wortschatz und Grammatik), Mathematik (vor allem Anwendung von Formeln) und eventuell Naturwissenschaften. Die innere Logik dieses Systems führt dazu, dass die Prüfungsfächer wichtiger werden als andere und so völlig unverdient in den Status von sogenannten Hauptfächern kommen. Und diese Fächer und Kriterien beherrschen nun auch die Promotionsordnungen innerhalb der Schule. Die "Nebenfächer" dagegen, besonders die musischen, werden immer mehr an den Rand gedrängt. Die Kinder werden auf Konkurrenz geschult statt (wie in den Leitlinien gefordert) auf Kooperation erzogen, es muss unter Stress statt in Musse gelernt werden, Kompetition, der schulische Wettkampf wird mit Leistung verwechselt.
Wenn der Übertritt aber möglich wäre auf Grund der absolvierten, im Portfolio ausgewiesenen Tests, dann könnten nicht nur die Prüfungen weitgehend wegfallen, sondern auch der ganze damit verbundene – das Schulklima vergiftende – Stress.
Ich erinnere daran, dass das Wort ‚Schule’ ursprünglich ‚Musse’ bedeutet, und damit kommt mein Hauptanliegen ins Spiel, die Pflege der Musik in der Schule. In meinen Büchern habe ich gezeigt, dass die Musik im Kreis der sieben Gardner’schen Intelligenzen oder Kompetenzen einen zentralen Platz einnimmt, weil sie als einzige zu allen andern starke Bezüge hat.
Ergebnisse der neurologischen Forschung bestätigen, dass Musik in der Entwicklung und Reifung des Menschen eine grosse Rolle spielt. Auch darüber habe ich mich ausführlich geäussert. Heute nimmt das Thema „Musik und Gehirn“ in der Neurologie einen breiten Raum ein, besonders auch deshalb, weil sie sich mit ihren klar definierten Parametern wie Tonhöhe, Tonlänge, Rhythmus, Melodie, Harmonie besonders gut zur Forschung eignet. Laut dem Neurologen Eckart Altenmüller ist Musik „der stärkste Reiz für neurologische Umstrukturierung, den wir kennen“. Musik aktiviert das limbische Selbstbelohnungssystem im Zwischenhirn, indem sie die Ausschüttung von Hormonen und Endorphinen stimuliert. Altenmüller spricht gar von Rauschzuständen.
Im Zusammenhang mit dem heutigen Thema mag besonders interessieren, dass der Spracherwerb ganz eng mit der Musik zusammenhängt. Es sind nämlich – das wurde in neueren Forschungen eindeutig ermittelt – die musikalischen Komponenten der Sprache (Tonfall, Betonungen und Rhythmen), die es dem Säugling ermöglichen, innert weniger Jahre die Sprache mitsamt Grammatik, Syntax und Semantik zu erlernen. (Dieses ‚implizit’ benannte Lernen – es ist weit effektiver als das ‚explizite’, das wir uns gewohnt sind – dieser Begriff wird unsere Pädagogen wahrscheinlich in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen.)
Rund 7% der 10 bis 12-jährigen Kinder weisen eine Sprachstörung auf. Die meisten unter ihnen haben auch Mühe, einen Rhythmus nachzuklatschen oder sich danach zu bewegen, und sie haben Mühe mit dem Lernen. Deshalb vermutet man, dass die Rhythmusschwäche verantwortlich sein könnte sowohl für die Sprachstörung wie für die Lernschwierigkeiten. Zu dieser Frage sind Studien im Gange.
In der PISA-Studie wurde gezeigt, dass die Leseleistung von den häuslichen Verhältnissen abhängig ist. Auf dieses Resultat hin war die Untersuchung auch angelegt. Man hätte auch untersuchen können, in welchem Mass die Leseleistung abhängig ist von der Grösse der Klassen, vom Alter, dem Geschlecht, der Kompetenz der Lehrkräfte, von der Art und dem Umfang der Hausaufgaben. Dazu gibt es noch keine Studien. Aber es gab die bereits erwähnten Schulversuche mit erweitertem Musikunterricht, wo wissenschaftlich nachgewiesen wurde, dass durch intensive Beschäftigung mit Musik nicht nur die soziale Entwicklung gefördert und ein Beitrag zur Prävention gegen Gewalt und Drogen geleistet wird, sondern dass sie auch zu mehr Motivation und damit zu mehr Effizienz in den traditionellen Fächern führt.
Genau dies aber wäre jetzt gefragt. Der Musik müsste in den Schulen eine wichtige Rolle zukommen. Statt dessen aber wird dieses Fach immer mehr an den Rand gedrängt, und weitaus die meisten Schulabgänger sind – obschon sie im Laufe der obligatorischen Schulzeit etwa 700 Lektionen Musik genossen – musikalische Analphabeten: Sie sind nicht in der Lage, eine einfache Melodie vom Blatt zu singen, haben keine Ahnung von Tonarten und Harmonien, geschweige denn von Komponisten und ihren Werken.
Trotzdem fehlt im Massnahmenkatalog der EDK die Forderung nach einem guten Musikunterricht auf allen Stufen, der allen Schülerinnen und Schülern die Grundlagen einer allgemeinen musikalischen Bildung zu vermitteln hätte. Im Gegenteil: An den Pädagogischen Hochschulen können künftig angehende Kindergärtnerinnen und Primarlehrer das Fach Musik abwählen, im Kanton Bern, wo diese Kategorien nach dem noch gültigen Lehrerbildungsgesetz zur Ausbildung gar nicht zugelassen werden dürften, wenn sie sich nicht über „Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in Musik, zeichnerisch/bildnerischem Gestalten und Werken“ ausweisen können, ist diese Forderung im Entwurf zum Gesetz über die Pädagogische Hochschule gar nicht mehr erwähnt. Solche unwichtigen Fragen werden künftig in Verordnungen geregelt und damit dem Gutdünken der Erziehungsdirektion überlassen. Die Folge wird ein empfindlicher Mangel an in Musik kompetenten Lehrkräften und ein allgemeiner Niedergang unserer musikalischen Kultur sein.
Es hat mit unseren föderalistischen Strukturen zu tun, dass neue und utopische Ideen in der schweizerischen Schullandschaft nicht diskutiert werden. Die Parteien sind weder auf eidgenössischer noch auf kantonaler Ebene bildungspolitisch aktiv, weil die kantonale Schulhoheit ein Heiligtum ist und Schulfragen deshalb auf eidgenössischer Ebene kein Thema sind. Wirklich grundsätzliche Schulfragen werden aber in den Kantonen kaum angegangen. Man überlässt sie der Konferenz der Erziehungsdirektoren, die dadurch zu einer Art Exekulegislative wird. Die EDK erlässt nämlich faktisch Gesetze (z.B. die Richtlinien über die Lehrerbildung oder die Maturitäts-Anerkennungs-Verordnung), ohne dass diese Erlasse je einem Parlament vorgelegt würden. Die Kantone sind dann zum „autonomen Nachvollzug“ eingeladen. Das ist aus demokratischer Sicht fragwürdig und auf die Dauer unbefriedigend.
Aber anderseits werden in der EDK solide Dossiers für künftige Modelle (ich nenne als Beispiele die Basisstufe und die Diplommittelschulen) erarbeitet, und das 2001 verabschiedete Tätigkeitsprogramm der EDK enthält verschiedene Arbeitsschwerpunkte, die „in Anbetracht der PISA-Erkenntnisse“ .... „zentral sind für die Weiterentwicklung des Schulsystems Schweiz“, zum Beispiel „die Entwicklung von gesamt-schweizerischen Standards für die obligatorische Schule“ und „den Aufbau eines Bildungsmonitorings zusammen mit dem Bund“.
Neue Ideen für unser Schulwesen müssten in den Parteien auf eidgenössischer Ebene diskutiert werden, aber das scheitert daran, dass diese sich bisher mit schulpolitischen Fragen gar nicht befasst haben. Ändern wird sich das erst dann, wenn das Bundesparlament zu Schulfragen etwas zu sagen hat. Vorläufig herrscht eine lähmende Angst davor, die kantonale Schulhoheit auch nur zu ritzen.
Nehmen Sie als Beispiel das Kulturförderungsgesetz KFG, das in nächster Zeit in die Vernehmlassung kommt. Es fusst auf dem Artikel 69,2 in der neuen Bundesverfassung, wo es heisst: „Der Bund kann kulturelle Bestrebungen von gesamtschweizerischem Interesse unterstützen sowie Kunst und Musik, insbesondere im Bereich der Ausbildung, fördern.“ Das KFG stützt sich besonders auf den zweiten Teil dieses Satzes, und der wurde aus Kreisen der Schulmusik eingebracht. Sofort nach der Annahme der Bundesverfassung wurden zudem auf Grund des Artikels 69 im Ständerat und im Nationalrat zwei gleichlautende Motionen eingereicht, welche verlangten, dass die Pflege der Musik, insbesondere des Singens in der Schule, gezielt zu fördern, die Ausbildung von Lehrkräften in Musik gesamtschweizerisch zu harmonisieren und zu verstärken und die Musikerziehung generell sowie durch die Bildung einer Fachgruppe Musik und gegebenenfalls eines schweizerischen Kurszentrums Musik zu koordinieren sei. Nicht zuletzt auf Grund dieser als Postulate überwiesenen Vorstösse hat Bundesrätin Ruth Dreifuss den Auftrag zur Ausarbeitung eines KFG erteilt.
Aber zu meiner grossen Enttäuschung wird das KFG nichts davon enthalten, die Musikerziehung – die alles ausgelöst hat – ist ausgeklammert worden. Die Angst war zu gross, die Kantone könnten dagegen Einspruch erheben und das Gesetz in Gefahr bringen. Tatsächlich ist vom Parlament in dieser Sache gegenwärtig keine Hilfe zu erwarten. Der Präsident der CVP hat sogar gefordert, in den Schulen weniger zu singen und mehr zu rechnen.
Ich komme zum Schluss und fasse zusammen: Die PISA-Studie zeigt deutliche Mängel in der Effizienz des schweizerischen Schulsystems auf. Die vorgeschlagenen Massnahmen genügen nicht für eine Verbesserung, und es ist nicht verständlich, dass die Ergebnisse der Nationalfonds-Studie „Bessere Bildung mit mehr Musik“ für die EDK offenbar ohne Bedeutung ist. Auch weitergehende, vielleicht unkonventionelle Vorschläge müssten diskutiert werden, ebenso Vergleiche, z.B. mit dem finnischen Schulwesen, und zwar in den politischen Parteien auf schweizerischer Ebene. Das wird erst möglich, wenn die aus dem vorletzten Jahrhundert stammende kantonale Schulhoheit teilweise in Frage gestellt und endlich ein eidgenössisches Schulgesetz geschaffen wird.
Positionspapier der Grünen Freien Liste GFL
Inhalt Teil A: Grundsätzliches
______1 Grundsätze S. 3
______2 Kindergarten und Volksschule S. 5
______3 Die postobligatorische Bildung (Sekundarstufe ll) S. 6
______4 Hochschulbildung (tertiäre Bildung) S. 7
______5 LehrerInnenbildung S. 8
______6 Fort- und Weiterbildung S. 8
Teil B: Kanton Bern
______7 Positionen zu aktuellen Bildungsaufgaben im Kanton Bern S. 9
______8 Vorstösse S. 12
2
Impressum ______Dieses Positionspapier wurde herausgegeben von der Grünen
Freien Liste Kanton Bern.
______Im Redaktionsteam mitgearbeitet haben:
Marianne Morgenthaler, Grossrätin GFL
Marlise Hubschmid, Vorstand GFL
Ernst Weber, Mitglied der Bildungsgruppe GFL
und Muriel Degen, Sekretariat GFL
______Kontakt: Sekretariat GFL, Waisenhausplatz 21, 3011 Bern,
sekretariat@gruenebern.ch
3
Teil A: Grundsätzliches
1 Grundsätze
Bildungsauftrag
Bildung und Wirtschaft
Bildungsinhalte
______Bildung ist ein immerwährender Prozess der ganzen Gesellschaft
und jedes einzelnen Menschen mit dem Ziel, das Individuum
mündig, selbstverantwortlich und handlungsfähig zu machen und
das Zusammenleben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Alle
Beteiligten sind in die Verantwortung eingebunden: die Eltern, die
Betreuenden in Tagesstätten und Krippen, die Lehrkräfte aller Stufen,
die Schulbehörden und nicht zuletzt die Lernenden.
Bildung geschieht einerseits dauernd und von selbst durch das
Umfeld, anderseits gezielt, strukturiert und organisiert. In diesem
Papier ist die Rede von der organisierten Bildung.
Zentrale Postulate der grünen Bildungspolitik sind ein Weltbild der
Achtung vor der Schöpfung, das Denken in globalen Zusammenhängen,
eine ganzheitliche Sicht des Lebens und das Ausrichten
unseres Tuns auf eine echte Nachhaltigkeit, welche nicht nur unsere
Lebensqualität, sondern auch die Bedürfnisse zukünftiger Generationen
bedenkt. Die Fähigkeit, sich auch im Wandel zu orientieren
und diesen aktiv und kreativ mitzugestalten, ist besonders zu fördern.
Das lebenslange Lernen ist für alle – den individuellen Möglichkeiten
entsprechend – zugleich ein Recht und eine Pflicht; es muss als
notwendig erkannt und in die Bildungsgesetzgebung einbezogen
werden.
Das quantitative Wachstum kann nicht im bisherigen Tempo weitergehen,
weil die Rohstoffe und die nicht-erneuerbaren Energien
knapp werden und die Umwelt immer mehr leidet. Deshalb treten
wir für ein qualitatives Wachstum ein, insbesondere für die Hebung
der Arbeitsqualität. Dazu ist es notwendig, das Bildungspotential
der Bevölkerung zu mobilisieren. Gerade in einem Land wie der
Schweiz, das arm an Bodenschätzen und Rohstoffen ist, wird Bildung
immer mehr zu einem entscheidenden Wirtschaftsfaktor.
Deshalb sind Bildungschancen für alle nicht nur ein Menschenrecht,
sondern auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Gute
Schulen sind ein wichtiger Standortvorteil.
Bildung soll sicherstellen, dass Selbst-, Sozial- und Sachkompetenz
im gleichen Mass entwickelt werden: Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit,
Frustrationstoleranz, die Fähigkeit, sich selber zu
motivieren, Einfühlungsvermögen und Ideenreichtum gehören
ebenso dazu wie Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Sachwissen
und methodische Kompetenz.
Besonders wichtig sind die Pflege der Herkunftssprache (Muttersprache)
wie die Standardsprache (Deutsch) in Wort und Schrift
und das Hineinwachsen in die Kultur, ebenso der Erwerb von soliden
Arbeitstechniken und der Umgang mit Information. Die Neugier
und die Freude am Lernen sollen auf allen Stufen des Bildungswesens
erhalten bleiben.
4
Chancengleichheit
Bildung und Geschlecht
Integration und kulturelle Vielfalt
Staatsschule/Privatschule
Leistung und Selektion
Beurteilung
Bildung ist ein Menschenrecht. Dieses darf weder auf Grund der
Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der
Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen
Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen
Behinderung beeinträchtigt werden (vgl. BV Art. 8).
Die Heranwachsenden sind vom Kindergarten an für eine partnerschaftliche
Rollenteilung in Familie und Beruf zu sensibilisieren. An
der Koedukation wird festgehalten, aber den geschlechtsbedingten
Unterschieden in der Art des Lernens soll Rechnung getragen werden.
Kulturelle, soziale und ethnische Vielfalt betrachten wir auf allen
Stufen als eine Bereicherung. Voraussetzung dafür sind ein klares
Selbstverständnis der eigenen Werte und ein waches Interesse für
andere Kulturen und Überzeugungen. Toleranz darf nicht zu
Gleichgültigkeit führen, Multikulturalität nicht zu einer Allerweltskultur.
An der Staatsschule wird grundsätzlich festgehalten. Jedoch sollen
auf allen Stufen, vom Kindergarten bis zur Universität und zur Weiterbildung,
private Bildungsanstalten gefördert werden, sofern sie
innovative Alternativen anbieten und damit zur Entwicklung des
Bildungswesens beitragen.
Die Ausbildungsstätten haben auf klar definierte Leistungen in allen
oben erwähnten Gebieten hinzuarbeiten. Die Selektion für höhere
Stufen darf sich nicht einseitig auf eingeengte Kognition wie Anwendung
von Rechenregeln und Formeln, Wortschatz, Grammatik
und Rechtschreibung beschränken, sondern sie muss alle Kompetenzen,
nämlich die sprachlich-linguistische, die mathematischlogische,
die räumliche (Vorstellungsvermögen, zeichnerischbildnerische
Fähigkeiten), die intrapersonale (sich selber kennen,
sich motivieren können, Fähigkeit des Umgangs mit Frustrationen),
die interpersonale (die Fähigkeit, mit andern umzugehen, sich in sie
hineinzuversetzen), die körperlich-bewegungsmässige (Sport, Tanz,
Akrobatik, instrumentales Musizieren) und nicht zuletzt die musikalischen
Kompetenzen umfassen. Die Selbst-Beurteilung der Schülerinnen
und Schüler muss ein integrierender Bestandteil der Zeugnisnote
sein.
Die Arbeit der Lehrkräfte aller Stufen wird in regelmässigen Abständen
beurteilt, wobei die Schülerinnen und Schüler (auf der
Hochschulstufe die Studentinnen und Studenten), die Eltern und
die Selbst-Beurteilung der Lehrkräfte einbezogen werden. Die Lehrkräfte
haben ein Anrecht auf Supervision. Eine ständige gezielte
Fortbildung ist selbstverständlich.
Die Erziehung zur Selbständigkeit hat einen hohen Stellenwert. Die
Lernenden sind dazu anzuleiten, ihre eigenen Leistungen nach objektiven
Gesichtspunkten zu beurteilen und so für ihr Lernen Verantwortung
zu übernehmen. Von der Mittelstufe an wird die Selbst-
Beurteilung bei der Notengebung berücksichtigt. Die so gewonnene
Urteilsfähigkeit fördert die Lernmotivation und erleichtert den
Entscheid beim Übertritt in eine neue Stufe.
5
Durchlässigkeit
Die Lehrkräfte
Unterrichtsformen
Zwischen den Bildungsgängen und -formen ist in jedem Bildungsbereich
durch flexible Strukturen, durch geeignete Methoden und
durch ein einfaches Qualifikationssystem Durchlässigkeit zu gewährleisten.
Über die reine Wissensvermittlung hinaus wirken die Lehrkräfte als
Beraterinnen und Berater: Sie sind Helferinnen und Helfer bei schulisch
schwächeren und Anreger bei begabten und fortgeschrittenen
Schülerinnen und Schülern.
Innere Differenzierung und Individualisierung als Ziel erfordern auf
allen Stufen angepasste Formen aus der Vielfalt der Lehr- und
Lernmethoden.
2 Kindergarten
und Volksschule
Grundsätze
Die Klassen
Lerninhalte
Beurteilung
______Schule und Eltern arbeiten partnerschaftlich zusammen; die
Elternbildung ist in diesem Sinne zu fördern. Dazu gehören auch
von aussenstehenden Fachleuten geleitete Kurse und Aussprachen,
in denen Eltern und Lehrkräfte gleichberechtigt beteiligt sind. Die
Erziehung zur Selbstverantwortung in Freiheit setzt voraus, dass
das Kind auch lernt, klare Grenzen anzuerkennen und sich selber
solche zu setzen. Emotionale Fähigkeiten und Werthaltungen als
Voraussetzung für Motivation und Lernfreude sind zu fördern.
Sind im Normalfall altersheterogene Tagesschulen: Sie umfassen in
drei Stufen je 3 bis 4 (Schul-)Jahre. Zwei Lehrpersonen teilen sich
bei intensiver Zusammenarbeit in normalerweise 150 Stellenprozente.
Der normale Schultyp ist die Tagesschule, wo die Kinder
mittags gemeinsam essen.
Die Volksschule vermittelt die Grundkenntnisse, Fertigkeiten und
Kulturtechniken, ohne die eine aktive Teilnahme am öffentlichen
Leben und die Bewältigung der zunehmenden Informationsflut
nicht möglich wäre (Sachkompetenz). Ebenso wichtig sind die Erziehung
zur reflektierten Auseinandersetzung mit sich selbst
(Selbstkompetenz) und zur sozialen Achtsamkeit (Sozialkompetenz).
Die innere Differenzierung soll die Förderung individueller Begabungen
ermöglichen, ohne in Einseitigkeit zu verfallen. In allen drei
Kompetenzbereichen ist Kreativität erwünscht.
Die Lernziele sollen anspruchsvoll sein und stufenweise erreichbar
sein. Die Lehrkräfte messen die Fortschritte in der Sachkompetenz
mit einheitlichen Tests, die sich an den Lernzielen der Lehrpläne
orientieren. Die Schülerinnen und Schüler bestimmen den Zeitpunkt
der Tests selber. Für die Zeugnisnoten werden die Testergebnisse,
die Beurteilung der Lehrkraft und die Selbstbeurteilung
der Schülerin oder des Schülers herangezogen. Die Sozialkompetenz
- und Selbstkompetenz hingegen wird nicht mit Tests geprüft,
sondern von den Lehrkräften beurteilt, wobei diese auch die
Selbsteinschätzung der Schülerinnen und Schüler mit einbeziehen.
6
Die Basisstufe
Die Primarstufe
Die Sekundarstufe I
Sie umfasst Kinder vom 4. bis 8. Altersjahr in altersheterogenen
Klassen von 18 bis 24 Kindern. Die Basisstufe wird in der Regel in 4
Jahren durchlaufen, es können aber auch 3 oder 5 Jahre sein. Die
Unterrichtszeit beträgt 18 bis 22 Stunden pro Woche in Blöcken von
wenigstens 3 Stunden an 5 bis 7 Halbtagen.
Sie schliesst individuell gleitend an die Basisstufe an und umfasst
ungefähr die Altersstufe 9. bis 12. Lebensjahr. Dem zunehmenden
realistischen Interesse der Kinder an der Natur, der Geschichte, an
Ländern und Kulturen ist in dieser schulisch besonders ergiebigen
Phase Rechnung zu tragen.
Diese Stufe, die ungefähr das 12. bis 15. Lebensjahr umfasst, bereitet
einerseits auf weiterführende Schulen, anderseits auf eine
Berufslehre vor. Auf die Verbindung des Wissens mit handwerklichem
und künstlerischem Können ist Wert zu legen. Auch auf dieser
Stufe sind jahrgangsheterogene Klassen anzustreben, die in
kürzerer oder längerer Zeit durchlaufen werden können.
Am Ende der Schulzeit werden die bestandenen Tests im Abgangszeugnis
festgehalten, und dieses Papier wird feierlich ausgehändigt.
3 Die postobligatorische
Bildung (Sekundarstufe ll)
Grundsätze
Die Maturitätsschulen
Die Allgemeinen
Mittelschulen
______Alle haben das Recht, im Laufe ihres Lebens einen Erstabschluss
auf der Sekundarstufe II zu erwerben. Schülerinnen und
Schüler entscheiden sich entweder für eine schulisch-akademische
Ausbildung (Maturitätsschule, Maturität, Universität), für eine Allgemeine
Mittelschule mit Zertifikatsabschluss und Zugang zu einer
Fachhochschule oder für den unmittelbar auf Beruf und Praxis ausgerichteten
Weg (Berufsausbildung mit einer beruflichen Erwerbsarbeit,
evtl. Berufsmaturität). Die drei Wege sind verschiedenartig,
aber gleichwertig, und dieses Dreisäulenmodell ist am
ehesten geeignet, sowohl den gesellschaftlichen Nutzen wie die
individuelle Zufriedenheit zu sichern. Die erste Ausbildung auf der
Sekundarstufe II (Berufslehre, DMS, Matura) ist kostenlos.
Diese haben eine breite Bildung zu vermitteln und zur Hochschulreife
zu führen. Dazu gehört nicht nur Sachkompetenz, sondern
auch Selbst- und Sozialkompetenz, Selbständigkeit und gute Arbeitstechnik.
Die gestalterischen, musikalischen und Ausdrucksfächer
müssen über ein den andern Fächergruppen vergleichbares
Gewicht verfügen. (Vgl. die Ausführungen unter 1. Grundsätze.
Bildungsinhalte). Der auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Umgang mit
der Natur und die Solidarität mit der Weltbevölkerung muss thematisiert
werden.
Die Allgemeinen Mittelschulen (alte Bezeichnung DMS) sind für
gute Schülerinnen und Schüler gedacht, die sich auf Grund ihrer
Neigungen und Interessen weder für das Gymnasium noch für eine
Berufslehre entscheiden können, sich jedoch im Blick auf einen
Beruf im pflegerischen, sozialen oder pädagogischen Bereich und
7
Der auf Beruf und Praxis
ausgerichtete Weg
Berufspraktische Bildung
Behinderte
die entsprechende Fachhochschule schulisch weiterbilden möchten.
Die Allgemeinen Mittelschulen dauern drei Jahre, bieten im 3. Jahr
ein spezifisches Berufsfeld an und schliessen mit einem Zertifikat
ab.
Das erste Jahr der Berufslehre ist ein innerhalb eines Berufsfeldes
offenes Basisjahr, in dem auf Lebenspraxis und Flexibilität besonderes
Gewicht gelegt wird. Die Berufsmaturität ist zu fördern.
Wirtschaft und Verwaltung sind mitverantwortlich für die berufliche
Ausbildung. Wer Lehrlinge ausbildet und/oder Praktikumsplätze
anbietet, erhält steuerliche Begünstigung, alle andern Firmen zahlen
eine angemessene Entschädigung, die in die Finanzierung der Berufsbildung
fliesst.
Die berufliche Grundausbildung mit Attest dauert in der Regel 2
Jahre und ermöglicht den Anschluss an eine weiterführende
Grundausbildung. Sie ist für die relativ kleine Gruppe von Jugendlichen
vorzusehen, die wegen Lerndefiziten eine kürzere Ausbildungszeit
mit einfacherem Anforderungsprofil suchen. Auch Erwachsene,
die noch keine Berufsausbildung abgeschlossen haben,
sollen hier Platz finden.
Die durch die Invalidenversicherung finanzierten, speziell auf die
verschiedensten Behinderungen ausgerichteten Ausbildungen sind
weiter zu fördern
4 Hochschulbildung
(tertiäre Bildung)
Lehre und Forschung
Chancengleichheit
Verantwortung
Fachhochschulen
______Universitäten und Fachhochschulen gewährleisten den hohen
kulturellen, technischen und wirtschaftlichen Stand unserer
Gesellschaft. Sie suchen den interdisziplinären Dialog und richten
sich nach ökologisch und ethisch definierten Grundsätzen. Lehre
und Forschung sind grundsätzlich frei. Besonders zu fördern sind
die interdisziplinäre Ökologie, die Friedensforschung und die inte rnationale
Entwicklungszusammenarbeit.
muss für alle Studierenden gewährleistet sein. Das Verhältnis der
Geschlechter unter den Professoren und Professorinnen sollte
grundsätzlich dem Verhältnis in der Bevölkerung entsprechen.
Durch obligatorische Studiengänge sind die zukünftigen Eliten in
Ethik und Kommunikation zu schulen.
Während an den Universitäten die Reflexion und die Forschung an
den Grundlagen im Vordergrund stehen, widmen sich die Fachhochschulen
neben Forschung und Entwicklung vorrangig der praxisorientierten
Ausbildung. Die Fachhochschulen müssen auch die
pflegerischen, pädagogischen, sozialen und künstlerischen Bereiche
abdecken.
Berufsbegleitende Hochschulausbildungen sowie Verknüpfungen
8
Hochschulgesetz
Der numerus clausus
Europa
mit virtuellen und Internet-Universitäten müssen gefördert werden.
Alle schweizerischen Universitäten und Fachhochschulen sollen
durch ein eidgenössisches Hochschulgesetz zusammengeführt,
betrieben und finanziert werden. Die Koordination von Forschung
und Entwicklung ist durch die Schaffung von Kompetenzzentren
sicherzustellen. Die volle Breite der Lehre bleibt in der ganzen
Schweiz gewährleistet.
Er darf nur als „ultima ratio“ eingesetzt werden, wenn andere
Massnahmen nicht gegriffen haben.
Die tertiären Ausbildungssysteme der Schweiz müssen sich eng
mit der europäischen Hochschullandschaft verbinden, so dass junge
Menschen in ganz Europa ohne Zeitverlust studieren können
und unsere Abschlüsse in Europa anerkannt werden. Die Erklärung
von Bologna gilt auch für die Schweiz.
5 LehrerInnenbildung
Grundkonzept
Studieninhalte
Organisation
______Die in diesem Bildungskonzept aufgeführten Grundsätze sind
für alle Stufenausbildungen verbindlich vorzuschreiben, insbesondere
auch die Abschnitte über Leistung, Selektion und Beurteilung.
Die Studieninhalte und die Prüfungen richten sich nach den Lehrplänen
der Stufen, für die das Lehrpatent ausgestellt wird.
Die pädagogische und didaktische Ausbildung der Lehrkräfte aller
Stufen findet an einer Pädagogischen Hochschule statt.
Für die Unterstufe und die Primarstufe (Kindergarten bis 6. Schuljahr)
übernimmt die Pädagogische Hochschule die volle Ausbildung.
Für die Sekundarstufen I und II erfolgt die Ausbildung in den wissenschaftlichen
Studienfächern an der Universität. Die für das
Gymnasiallehrerpatent benötigte pädagogische und didaktische
Ausbildung kann auch nach Abschluss der wissenschaftlichen Studien
erworben werden.
6 Fort- und Weiterbildung
Fortbildung ______Die Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluss
der ersten Bildungsphase und beruflicher Praxiserfahrung soll die
Regel sein. Der berufliche Umstieg und der berufliche Wiedereinstieg
werden gefördert.
9
Weiterbildung Bund, Kantone und Gemeinden sind aufgerufen, die Weiterbildung
der Erwachsenen strukturell und finanziell zu unterstützen und zu
fördern. Die Wirtschaft hat ihre Pflicht zu tun und soll Mitarbeitende
für Fort- und Weiterbildung freistellen.
Teil B: Kanton Bern
7 Positionen zu aktuellen
Bildungsaufgaben im
Kanton Bern
Vorwort
Kindergarten und Unterstufe
Primarstufe und Sekundarstufe l
Fremdsprachenunterricht
Integration von Kindern aus
anderen Kulturen
______Für den vom Regierungsrat eingesetzten Wirtschaftsrat ist
das Bildungsangebot ein wichtiger Standortfaktor. Im Kanton Bern
ist die Bildungslandschaft seit 1985 im Umbruch. Von der Volksschule
(6/3) über die neue Lehrer- und Lehrerinnenbildung (Tertiärstufe)
bis zur Universität, von der Berufsbildung bis zur Fachhochschule
alles wurde auf neue gesetzliche Grundlagen gestellt, um
damit das Bildungswesen den neuen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Gegebenheiten anzupassen.
Die Grüne Freie Liste GFL fordert eine gesamtheitliche Bildungspolitik
im Sinne ihres „Positionspapiers zur Bildung“. Zu den im Kanton
in nächster Zukunft anstehenden Aufgaben im Bildungswesen
nimmt sie wie folgt Stellung:
Die GFL fordert und unterstützt die Einführung der„Basisstufe“
(Motion Marianne Morgenthaler „Einführung der Basisstufe zur
Erziehung und Bildung der vier- bis achtjährigen Kinder“, im Juni
2000 als Postulat entgegen genommen. Anhang 1).Bis zu deren
Einführung soll jedes Kind im Kanton Bern den Kindergarten während
2 Jahren besuchen können.
Längerfristig sollen entsprechend dem „GFL-Positionspapier zur
Bildung“, auch diese Stufen in altersheterogenen Klassen geführt
werden.
Im zweisprachigen Kanton Bern ist die erste Fremdsprache die
Sprache des anderen Kantonsteils. Sie soll spätestens ab dem 3.
Schuljahr eingeführt werden. Englisch ist allen Schülern und Schülerinnen
als zweite Fremdsprache anzubieten. Ausnahmen für
sprachlich schwache Kinder sind möglich.
Es ist erwiesen, dass Kinder aus anderen Kulturen sich schneller in
die Aufnahmegesellschaft integrieren, wenn sie ein gutes Bewusstsein
über ihre Herkunftskultur haben. Gute Kenntnissen in der Herkunftssprache
und deren Pflege wirken integrationsfördernd. Zur
Entwicklung ihrer bikulturellen Identität und damit zur interkulturellen
Kompetenz, sollen diese Kinder sowohl in ihrer Muttersprache,
wie in der Standardsprache Deutsch besonders gefördert werden.
Der Kanton Bern muss dazu den bis jetzt mehrheitlich auf privater
Basis geführten Unterricht in heimatlicher Sprache und Kultur
(HSK-Unterricht) aus seiner Isolation herauslösen und besser in den
Regelschulbetrieb integrieren.
10
Integration von behinderten
Kindern
Ausschluss von SchülerInnen
Das 9. Schuljahr
Vorbereitung aufs Gymnasium
Schulleitung
Berufsbildung
Diplommittelschulen (DMS)
Der Besuch der ordentlichen Bildungsgänge in der Regelklasse soll
möglichst vielen Schülerinnen und Schülern ermöglicht werden.
Für flankierende Massnahmen müssen genügend Mittel zur Verfügung
stehen.
Dies betrifft Kinder nach Volksschulgesetz Art. 17: „Schülerinnen
und Schüler, deren schulische Ausbildung durch Störungen und
Behinderungen oder durch Probleme bei der sprachlichen und
kulturellen Integration erschwert wird, sowie Schülerinnen und
Schüler mit ausserordentlichen Begabungen.“
Die GFL wiederholt ihre in der Beratung geäusserten Bedenken. Ein
Ausschluss aus der Schule darf nur ausgesprochen werden, wenn
alle anderen Bemühungen, gescheitert sind. Ein Ausschluss darf
höchstens ein Quartal lang dauern. Eine sinnvolle Beschäftigung
der Ausgeschlossenen sowie professionelle Begleitung der Familie
während der Zeit des Ausschlusses, mit dem Zweck der Wiedereingliederung,
respektive der Suche einer weiterführenden Alternative,
müssen gewährleistet sein.
Für Schülerinnen und Schüler, die nicht in das Gymnasium überzutreten
gedenken, soll das 9 Schuljahr aufgewertet werden. Die Ziele
sollen auf die Berufswahl und die Vorbereitung auf eine Berufslehre
oder auf den Übertritt in eine Diplommittelschule DMS ausgerichtet
sein. Für die Real- und Kleinklassenschüler und -schülerinnen des 9.
Schuljahres sind besondere Anstrengungen im Hinblick auf einen
optimalen Einstieg ins Berufs- und Arbeitsleben zu unternehmen.
Der Schulabschluss soll im Sinne eines Übergangsrituals feierlich
gestaltet werden.
Für den Übertritt ans Gymnasium braucht es auch in Zukunft regional
abgestimmte Lösungen.
Die begonnene Entwicklung zur Teilautonomie innerhalb klaren
Rahmenbedingungen wird von GFL unterstützt. Die Schulleiter und
Schulleiterinnen sollen für ihre Führungsaufgabe ausgebildet und
während der Ausübung ihrer Funktion auf ihr Begehren hin mit
Coaching unterstützt werden.
GFL hält am dualen System fest. Die Betriebe sollen sich an der
Ausbildung ihrer Arbeitskräfte beteiligen, entweder indem sie selber
in Ausbildung stehende Personen beschäftigen oder aber deren
Ausbildung in andern Betrieben via einen Lehrstellenpool finanziell
unterstützen.
Die kantonalen Lehrwerkstätten sollen im heutigen Umfang beibehalten
werden. Im Gegensatz zu heute, wo diese von der Öffentlichkeit
bezahlte Ausbildung tendenziell den guten Schülern und
Schülerinnen offen steht, sollen die Lehrwerkstätten zusätzlich
auch Lehrtöchter und Lehrlinge ausbilden, die besonderer Förderung
bedürfen. Im weiteren sollen die Lehrwerkstätten innovativ
tätig sein und im Sinne von Projekten neue Ausbildungsmodelle
ausarbeiten und anbieten.
Die Diplommittelschulen sind so zu Allgemeinen Mittelschulen umzubauen,
dass sie zu einem definierten Anschluss an die Tertiärstufe
führen.
(Motion Marianne Morgenthaler, „Anpassung und Neuausrichtung
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Musikschule
Neue Lehrer- und Lehrerinnenbildung
(LLB):
Hochschulen
Erwachsenenbildung
Finanzierung
der Diplommittelschulen, DMS“, siehe 8. Vorstösse)
Die Musikschulen haben sich in den letzten dreissig Jahren zu einem
wichtigen kulturtragenden Bestandteil des bernischen Bildungswesens
entwickelt. Die GFL wird sich jedem Abbau im Bereich
der Musikschulen vehement widersetzen, weil die Musikerziehung
– wie sich in der neueren Forschung gezeigt hat - für die
Entwicklung des Menschen von zentraler Bedeutung ist.
- Die LehrerInnenausbildung im Kanton Bern wird zentralisiert.
Die berufspraktische Ausbildung findet an dezentralen Kompetenzzentren
statt.
- Zur neuen LLB führen drei Wege: Maturität, Berufsmaturität,
Diplommittelschule DMS. Für Anschlussmöglichkeit nach der
Berufsmaturität und der Diplommittelschule an die LLB sind geeignete
Zwischenschritte zu schaffen.
- Die pädagogische und didaktische Ausbildung der Lehrkräfte
aller Stufen findet an einer Pädagogischen Hochschule statt.
- Für die Unterstufe und die Primarstufe (Kindergarten bis 6.
Schuljahr) übernimmt die Pädagogische Hochschule die volle
Ausbildung.
- Für die Sekundarstufen I und II erfolgt die Ausbildung in den
wissenschaftlichen Studienfächern an der Universität. Die für
das Gymnasiallehrerpatent benötigte pädagogische und didaktische
Ausbildung kann auch nach Abschluss der wissenschaftlichen
Studien erworben werden.
Entsprechend dem Modell Hochschulregion Mittelland bilden die
Universitäten und Fachhochschulen Aargau, Basel, Bern, Freiburg,
Luzern, Neuenburg und Solothurn eine Universitätsregion : Diese
Hochschulen stimmen ihre Angebote aufeinander ab, es herrscht
eine grosse Durchlässigkeit. Doppelspurigkeiten sollen abgebaut
werden. Dies bedeutet, dass die zweisprachige Hochschulregion
Mittelland alle Institutionen der Tertiärstufe umfasst. Da die Universität
Bern unter diesen Hochschulinstitutionen die einzige „Voll-
Hochschule“ mit allen Fakultäten ist, übernimmt sie vorläufig die
Federführung für die Hochschulregion Mittelland. (Motion Johanna
Wälti-Schlegel, „Hochschule Mittelland“, siehe 8. Vorstösse)
Die begonnene Anpassung an den europäischen Bildungsraum
(Bologna Declaration, 2-stufige Studienstruktur mit Bachelor- und
Master-Abschlüssen) muss im bisher zügigen Tempo weiter geführt
werden.
Der Kanton Bern ist der einzige Kanton in der Schweiz, der ein Erwachsenenbildungsgesetz
hat (seit 1990) Die bestehenden Angebote
im ganzen Kanton sollen unterstützt und ausgebaut werden.
Insbesondere soll die Elternbildung mit verschiedenen, den Bedürfnissen
und auch den zeitlichen Möglichkeiten der Eltern entsprechenden
Angeboten gefördert werden. Es ist darauf zu achten,
dass Fort- und Weiterbildung auch neben dem Erwerbs- und Familienleben
möglich bleibt.
Der Kanton Bern hat im vergangenen Jahrzehnt im Bildungswesen
mit zuwenig Geld zuviel gewollt. Heute geht es darum, die Mittel
12
Rahmenbedingung
den Aufgaben anzupassen. GFL verlangt eine Stabilisierung der
prozentualen Ausgaben im Verhältnis zum Gesamtbudget im Bildungsbereich
auf dem Niveau von 1995. Es braucht wieder mehr
Geld:
- Im Volksschulbereich für eine bessere Arbeitssituation und für
den Umbau der Basisstufe;
- auf Sekundärstufe für den Umbau der DMS; auf Tertiärstufe für
den Aufbau der Fachhochschule in den beschlossenen
Bereichen.
- In der Berufsbildung zum Erhalt des heutigen Ausbildungsniveaus.
Wir stützen unsere Forderungen auf die Ergebnisse des vom Regierungsrat
eingesetzten Wirtschaftsrates ab. (Motion Bernhard Pulver,
„Mehr Geld für Kopf, Herz und Hand“, siehe 8. Vorstösse)
Die Schulen sollen sich auf ihren Bildungsauftrag konzentrieren
können. Für die Erziehung der Kinder sind die Eltern verantwortlich.
Kinder benötigen in erster Linie ein verlässliches Umfeld. Sie sollen
feste Bezugspersonen und einen geregelten Tagesablauf haben.
Schule, Elternhaus und familienergänzende Einrichtungen sollen
ermöglichen, dass die Kinder jederzeit optimal ihren Bedürfnissen
entsprechend gefördert und betreut werden.
Für ein physisch und psychisch gesundes Aufwachsen sind auch
ausserhalb der Schulen gute Rahmenbedingungen zu schaffen.
Dies betrifft insbesondere:
- Familienfreundliche Schulstrukturen: Die GFL fordert die Einführung
von Tagesschulen. Die Möglichkeit zur Tagesbetreuung
in jedem Schulhaus und Blockzeiten sind das Minimum.
- Angemessene flächendeckende Versorgung mit Angeboten der
familienexternen Betreuung: Krippen, Tagesheime, Tagesfamilien,
Tagesschulen und Aufgabenhilfen
- Schulwegsicherung
- Flexible Arbeitszeitmodelle, damit die Eltern ihre Erziehungsaufgaben
wahrnehmen können.
- Elternbildung: Es sind besonders auch die niederschwelligen
Angebote zu fördern.
8 Vorstösse
Motion
Einführung der Basisstufe zur
Erziehung und Bildung der vierbis
achtjährigen Kinder
als Postulat überwiesen in der Junisession
2000
(Motionärin Marianne Morgenthaler)
Begründung
______Der Regierungsrat wird beauftragt, im Kanton Bern die Einführung
der Basisstufe zur Erziehung und Bildung der vier- bis achtjährigen
Kinder vorzubereiten. Die Einführung ist für jenes Schuljahr
vorzusehen, in dem erstmals Absolventinnen und Absolventen der
neuen Stufenausbildung für den Kindergarten bis zum 2. Schuljahr
zur Verfügung stehen.
1998 hat die Fraktion Grüne Freie Liste mit einer Motion verlangt,
der Regierungsrat solle bis Mitte 1999 in einem Bericht aufzeigen,
wie im Kanton Bern die Basisstufe eingeführt werden könnte.